Mittwoch, 6. Juli 2005

„Alles, was erscheint, verbirgt seinen Gegensatz“


Reflexion zur Philosophievorlesung von W. Schmid vom 5.7.05

Sobald etwas erscheint, ist es mit sich selbst identisch. Es gibt nichts, das es auch selbst ist. Nur das Erscheinende hat die Eigenschaften, die es ausmachen. Nichts anderes ist zur selben Zeit am selben Ort in Erscheinung getreten. Allein da, wo es erschienen ist, kann nichts anderes sein.
Auch wenn es sich verändert, ist es immer noch es selbst und bleibt mit sich selbst identisch. Das, was erscheint hat seinen Gegensatz inne, nämlich das, was es nicht ist.

Etwas anderes kann die gleichen Eigenschaften haben. Da das andere aber nicht am selben Ort erscheinen kann, wie das Erstere, kann es ihm nur gleichen. „1+1 = 2“. Die „2“ ist nicht das Selbe wie „1+1“, es ist nur das Gleiche.
Die Ähnlichkeit zwischen zwei Erscheinungen kann durch viele gleiche Eigenschaften festgestellt werden (Morgendämmerung – Abenddämmerung ). Ab einem gewissen kritischen Punkt sind es nur noch so wenige gemeinsame Eigenschaften, dass die Erscheinungen verschieden sind (Mittagssonne – Abenddämmerung). Gibt es keine gemeinsamen Eigenschaften mehr, dann sind die Erscheinungen entgegengesetzt (Tag – Nacht).
Das Gegensätzliche in uns ist das Gegengewicht, ohne den Gegensatz würden wir auseinander fallen. Der Gegensatz lässt sich nicht aufgeben oder aufheben. Er lässt sich nur erkennen. Die Dominanz einer Seite bringt uns aus dem Gleichgewicht. Was wäre der Tag ohne die Nacht? Was wäre die Liebe ohne den Hass? Das Erkennen des Hasses und seiner Ursachen führt zu einer Auflösung der Bewertung und des sich Angehenlassens durch dieses Gefühl.
An dem Punkt, an dem sich Tag und Nach am stärksten angleichen, wandeln sie sich in ihr Gegenteil. Das Gleichwerden mit etwas bedeutet, ungleich mit sich selbst zu werden bzw. die Dominanz der einen Seite vermindert die andere. Nur durch das Ungleichwerden mit sich selbst, kann Neues entstehen.

In eins mit dem Angleichen und dem sich selbst Ungleichwerden (Tag wird der Nacht gleich, wird damit sich selbst ungleich), löst sich Helligkeit immer mehr auf und Dunkelheit verdichtet sich (immer weniger Lichtpunkte an einem Ort = Dichte der Dunkelheit.) Auflösen und Binden geht in eins mit dem Gleichen und Umgleichen.
gleichen0007

Im WERDEN ist das Entstehen und Vergehen inbegriffen. Und das immer und von Beginn an: Wenn etwas wird, wird es nicht zu dem, was es auch hätte werden können. Das Entstehen ist zugleich Vergehen. Einmal Vergehen von sich selbst (sobald ich entstehe, vergehe ich auch wieder!) und einmal als Vergehen der Fülle von Möglichkeiten. Alles Entstehen ist Einschränkung. Vor allem Werden i s t die Fülle, im Werden entsteht mit dem Verwirklichen die Leere. (Was man bei z.B. manchen Menschen auch sofort sehen kann.)
Nur durch das Vergehen von Wirklichkeit kann sich wieder die Fülle der Möglichkeit entfalten.




Zitate zur Vorlesung:
„Nach Hegel lässt sich die Entzweiung aber nicht einfach außer Kraft setzten oder überspringen. Im Gegenteil kann durch Entzweiung ein reicherer und differenzierter Zusammenhang hervorgebracht werden. Dieser Zusammenhang,, der das Verschiedene verbindet, ist für Hegel vernünftig. [...]
Er [knüpft] an die Vorstellung wieder an, dass Vernunft Einsicht in die Wirklichkeit selbst sei [...] So will Hegel die Lehre von der Wirklichkeit als Ganzheit verbinden mit einer Lehre vom Subjekt als Selbstbewusstsein oder Denken.“ S. 234

„Wirklichkeit ist kein Gegenstand (Ding oder Substanz) hinter der Erfahrung, sondern der umfassende Zusammenhang, der sich in der Erfahrung zeigt. Insofern will Hegel in seinem gesamten Werk diesen übergeordneten Zusammenhang oder diese Einheit aufzeigen. Besonders in seinen frühen Schriften nähert er sich diesem Zusammenhang mit dem dialektischen Begriff des Lebens, das sich entzweit und wieder zusammenkommt, und dem der Liebe als Vereinigung (mit Bezug auf Hölderlin). Hegel nennt den übergeordneten Zusammenhang ‚Geist’. Die ‚Phänomenologie des Geistes’ will zeigen, wie der Gegensatz zwischen Bewusstsein und Gegenstand sich aufhebt. Eine entscheidende Rolle spielt die Erfahrung. Der Mensch muss nicht über die Erfahrung hinausgehen, um zur Wirklichkeit als einer dahinterliegenden – und insofern unerreichbaren - Instanz - zu gelangen. Sondern in der Erfahrung selbst geschieht die Überschreitung, genauer: Die Erfahrung ist eine Selbstüberschreitung.“ 235

„Besondere Bedeutung gewinnt hier das Verhältnis des Bewusstseins zu einem anderen Bewusstsein als seinem Gegenstand. Die Pointe ist: Das Bewusstsein kommt erst als Selbstbewusstsein, durch das Verhältnis zu einem anderen Selbstbewusstsein, in dem es sich selbst findet, zu sich selbst. Dieses Verhältnis gelingt, wie Hegel zeigt, nur wechselseitig, in gegenseitiger Anerkennung. Diese Pointe, der Zusammenhang zwischen Selbstverhältnis und Verhältnis zum Anderen (zum anderen Selbst) wird ausgeführt in Hegels Schlüsselbegriff ‚Geist’. Der Geist lässt sich vorläufig durch drei Momente abstrakt bestimmen: 1. Er ist eine unmittelbare, unentfaltete Identität. 2. Er tritt aus sich heraus, entfremdet sich von sich selbst im Verhältnis zum anderen, dem er gegenübersteht, und wird damit selbst ein Anderer. 3. Er kommt zu sich zurück, sieht sich selbst in dem Anderen. Erst durch das Aus-sich-Heraustreten, das Sich-im-Anderen-Verlieren, so der Grundgedanke, kann das, was man selber ist, entfaltet werden. Erst dadurch kann man sich selbst wahrhaft finden und werden, was man ist.“ 236 Philosophie Lexikon, Rowohlt 1991

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rahelrath - 6. Jul, 16:14


binein - 6. Jul, 16:22

Interessant!

...auch wenn noch so viele Erklärungen nicht unbedingt offene Fragen beantworten.

rahelrath - 6. Jul, 21:13

Hallo!

welche Erklärungen meinst du? (Die Zitate?)
Bist du auch in der Vorlesung? Fragen über Fragen, wie gesagt!
Lg rahel
binein - 6. Jul, 22:05

Ja nu...

Erklärungen kann man philosophisch oder wissenschaftlich machen. Darwin ist nicht erwiesen und nicht widerlegt.
Jeder bastelt sich seine Eigene Meinung und gibt seinen Senf (Zitate) dazu ab.
Vorlesungen gibt es bei mir nur im Kinderzimmer... ;)
tobi-tobsucht - 7. Jul, 01:48

muss immer alles erwiesen oder widerlegbar sein...? gar offene fragen beantworten?
ja! jeder bastelt und das ist auch gut so. ganz besonders die kleinen im kinderzimmer ;)
ende der durchsage.

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wfschmid - 13. Nov, 18:09
und mit soviel begeisterung:)
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Imke-Hinrichsen - 11. Nov, 20:32
:-) Er macht das doch...
:-) Er macht das doch echt gut, irgendwie ist er so...
rahelrath - 11. Nov, 15:59

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