Dienstag, 22. März 2005

Aber immerhin



„Aber immerhin, das Denken ist in der Lage, sich selber und seine Geschichte zum Gegenstand zu machen.“ (Linke, 89)

Um sich dem Wesen der Sprache zu nähern, muss zuvor eine Distanz zu ihr geschaffen werden, die als Voraussetzung es überhaupt erst ermöglicht, das Wesen zu erfassen.

Die Nähe des Subjektes zur Sprache ist bestimmt durch das, was das Subjekt in ihr oder durch sie findet. In dem man dichtet – und dies in einem doppelten Sinne, denn in dem Wort „dichtet“ liegt auch das Wort „Dichte“ – erfährt man durch die Sprache etwas über sich selbst.

Das Wesen der Sprache aber liegt nicht nur in den Bedeutungen der Zeichen verborgen, in welchen wir uns selbst spiegeln. Sprache, da Ausdruck und Mittel des Geistes zugleich, erhält ihr Wesen nicht erst durch uns, die wir sie gebrauchen. Ebenso wenig erfahren wir etwas über das Wesen der Liebe, nur weil wir meinen selbst zu lieben. (Natürlich ist die Erfahrung mit etwas immer hilfreich, wenn man sich auf die Suche nach dem wesentlich Bestimmenden macht.) Oft ist es jedoch auch so, dass die eigene Erfahrung eine genaue Aussage über etwas erschwert. Das Wesen ist intersubjektiv und muss unabhängig vom individuellen Betrachten oder Gebrauch bestimmt werden. Somit ist das Wesen mittelbar zu erfassen, da ein Mittel benötigt wird, um diese allgemein gültigen Eigenschaften zu beschreiben. Eines der Mittel ist die oben erwähnte Distanz.

„Paul Klee sprach von den zwei Bergen. Auf dem einen wohnen die Götter, die wissen, dass sie Wissen, auf dem anderen wohnen die Menschen, die wissen, dass sie nicht wissen. Dazwischen im Tal leben die Tiere, die nicht wissen, dass sie wissen. Für Paul Klee und auch für Roman Jakobson endete die Geschichte an dieser Stelle. Sie schrieben den Spruch des Sokrates, dass wir wissen, dass wir nicht wissen, noch fest. Die Menschen sind jedoch von den Bergen hinabgestiegen, um zu verstehen, warum die Tiere nicht wissen, dass sie wissen. Sie entdeckten, dass auch in den Gehirnen der Menschen Wissen war, von dem sie nicht gewusst hatten. Nun wussten sie, dass sie nicht wissen, aber auch, dass sie nicht wissen, dass sie wissen. Dieses Wissen fingen sie an zu verwalten, und so wussten sie dass sie wissen. Nun wussten die Menschen, dass sie wissen und dass sie nicht wissen, dass sie wissen und dass sie nicht wissen, dass sie wissen. Es war, als ob ihr Berg höher geworden wäre, aber dort hatten sie auch zu schweben begonnen und den Boden unter den Füßen verloren.“ (Linke, 93)

Je größer die Distanz ist, die man zu einem Gegenstand schafft, desto abstrakter wird zunächst das, was man betrachtet. Das Subjekt muss sich von dem Wahrgenommenen trennen und ohne gestaltendes „Sich Einmischen“ auf das schauen, was vor ihm liegt. „Entfernung“ zu etwas klärt oft den Blick für das Vorliegende, welches auf Grund von zu großer Dichte verschwommen erscheint. ‚Distanzierung’ machen sich aus diesem Grund auch einige Weltreligionen zu Nutze, wenn ihr Anliegen die Befreiung von dem Leiden oder aus dem Leid ist. Und die Philosophie zeigt einen Weg, wie die Dinge ohne Einfluss durch die Sinne zu ergründen sind. Als außenstehender Betrachter des Geschehens verhindert bzw. reduziert man so die Färbung der Wahrnehmung mit eigenen Erfahrungen und Gefühlen.

Natürlich wäre eine ‚ständige’ Aufrechterhaltung von Distanz zu den Dingen dem Erfassen ihres Wesens wiederum abträglich, da nur die Bezogenheit des Menschen auf anderes erst das Berührtsein von etwas ermöglicht.

Was bedeutet es, wenn man Distanz zur Sprache schafft? Sprache wird durch immer größeren Abstand zunächst abstrakter: Die Bedeutungen der einzelnen Wörter und Sätze und der Bedeutungszusammenhang treten in den Hintergrund und sind für diese Art und Weise der Betrachtung unwesentlich. Nicht das „Verstehen“ des Geschriebenen mit dem Anspruch das „wohl so und so Gemeinte“ nachzuvollziehen sind nun relevant. Es geht um das Erfassen der Strukturen, die dem Entworfenen zu Grunde liegen. Elemente der Sprache, am leichtesten im Text, weil dort manifestiert, lassen sich in ihren Beziehungen zueinander betrachten. (Das ist das Besondere an einem Text, weil sich zuvor geistig geschehende Bewegung dort manifestiert – und auch anderes, nämlich durch Lesen oder Hören, wieder bewegen kann!)

„In der gegenwärtigen Kunst, in der Malerei, gibt es genügend Bemühungen, in das Gemälde hinein Zeichen der Unvollständigkeit und des Darstellungscharakters hineinzugeben, anhand derer verdeutlicht werden kann, dass Vollendung eine Bewegung ist, die über das Bild hinausgeht.“ (Linke, 89)

Analog zur abstrakten Kunst erscheint der Text durch diese Betrachtungsweise nicht gegenständlich. In den Bildern dieser Kunst sind die bestimmten Strukturen das Werk Schaffende. Verbindungen zwischen Punkten, die Linien ergeben, Linien, die in auf bestimmte Art angeordnet sind, andere Elemente berühren oder andere Linien kreuzen usw. Beziehungen bestehen durch ordnende und ästhetische Kräfte: Eine Linie ergibt sich zum Beispiel durch einander zugeordnete und angleichende Punkte.



„Der Hauptantrieb der Kunst Klees ist die psychische Reaktion auf bestimmte Erlebnisse, und das Bild ist wie die seismographische Niederschrift dieser Reaktion. Bald wird mit diesen Symbolen nur ein breiteres Spiel getrieben, bald werden sie ins Ironische abgebogen, bald aber, und das ist der häufigste Fall, treten sie mit allen Zeichen des Angsthaften hervor. In Klees Garten wachsen viele sehr wenig harmlose Giftpflanzen! Ich glaube, wer alle Symbole Klees zu lesen verstünde, der würde unter der rein ästhetisch so ungemein genussvollen Oberfläche dieser Bilder das ganze Grauen unserer zerfallenen Zeit zutrage treten sehen [...]. Und man spürt, dass Klees Kunst fasst erregend gegenwärtig ist.“ (Sammlung Bürgi ... 224)

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rahelrath - 26. Mär, 10:11

ausführliche Literaturangaben sind unter Sprachspuren1/Literatur zu finden

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wfschmid - 13. Nov, 18:09
und mit soviel begeisterung:)
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Imke-Hinrichsen - 11. Nov, 20:32
:-) Er macht das doch...
:-) Er macht das doch echt gut, irgendwie ist er so...
rahelrath - 11. Nov, 15:59

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